Aus der Reihe: Dinge, die einem so in Deutschland nie passieren würden

Mein Freund sagt zwar, sie passieren auch in Italien nur im Süden, aber so unwahrscheinlich sie einem in Norditalien passieren würden, so garantiert ist es, dass es in Deutschland niemals passiert.

Es ist gerade mal zweite Tag meines Kurzurlaubs. Wir sind mit dem Auto unterwegs, zunächst an den Hafen auf einen Kaffee. Dass ich mir dort innerhalb von rund einer halben Stunde einen Sonnenbrand eingefangen hab, ist nach dem Erlebnis auf dem Rückweg irgendwie in den Hintergrund gerückt. (Trotzdem sei angemerkt, während man bei uns aktuell die Sonnentage an einer Hand abzählen kann und meine Haut somit quasi noch im Winterschlaf, weil absolut nicht auf sommerliche Temperaturen eingestellt ist, saß ich hier weniger als 45 Minuten in der Sonne und mein Rücken ist so rot, wie es zuletzt mein Kopf im Australienurlaub 2013 war.)

Nachdem nun hiermit auch mein Mai-Sonnenbrand entsprechend gewürdigt wurde (ich mein, Hallo?! Sonnenbrand im Mai!), kommen wir zur eigentlichen Story zurück.

Wir sitzen also im Auto auf dem Rückweg von der Bar im Hafen zum Supermarkt, ein paar Erledigungen machen, bevor wir zurückkehren.

An einer Kreuzung vor dem Bahnhof im Zentrum biegen wir also rechts ab, als plötzlich ein Mann mittleren Alters vor uns über die Straße rennt. Mein Freund hält an. Der Mann kommt von rechts auf das Auto zu und zwei Polizisten (genauer: Vigili Urbani) nähern sich uns von links.

Ich dachte unweigerlich in Sekundenschnelle daran, dass ich meinen Ausweis zu Hause gelassen hatte. Aber, naja, Italien ist nicht Deutschland und mein Herzblatt wird das sicher schon irgendwie regeln können. Also Puls wieder runterreguliert, durchgeatmet und schon standen Herr mit grauen Haaren und sichtlich aufgeregt und Polizist je rechts und links am Beifahrer- bzw. Fahrerfenster.

Ich verstand nur zu Teilen, worum es genau ging, aber jedenfalls bat der Herr rechts uns, ihn ein Stück mit irgendwohin zu nehmen. Mein Freund ließ den Mann also einsteigen, er erzählte hektisch irgendwas davon, dass sein Zug nicht gekommen sei oder Verspätung hatte, dass er nochmal ins Büro müsse, dort was vergessen hatte, aber unbedingt diesen Zug kriegen müsste und zu Fuß sei das in der Zeit nicht zu schaffen.

(Ich schätze ich befinde mich in der wohl einzigen – zumindest mir bekannten – Stadt, in der es keine Taxis zu geben scheint.)

Zuvor hatte der Gute wohl scheinbar die Polizisten um den gleichen Gefallen gebeten, aber die – und da schienen sie mir einen Augenblick lang sehr deutsch – mussten ihm diesen abschlagen.

Jedenfalls lotste jetzt dieser völlig hektische Mann meinen Freund durch die Stadt und so langsam kristallisierte sich heraus, dass er eine Jacke im Büro vergessen hatte. Sofern da jetzt nicht Portemonnaie und Brieftasche, Handy oder sonst irgendwas „lebenswichtiges“ drinne war, hab ich die Aufregung nicht ganz verstanden, aber ok.

Wir setzen den Mann also ab, er sagt beim Aussteigen, dass er ja gar nicht wisse, wie er uns das danken solle. Wir wenden schonmal den Wagen, damit wir direkt zurückfahren können, sobald er wieder da ist und so seinen Zug kriegt (man erinnert sich, die Ferroveria hatte am Tag davor gestreikt, weshalb ja auch ich so Trouble hatte, also war der Zugverkehr am nächsten Tag natürlich immer noch entsprechend chaotisch). Während wir kurz warten meint mein Freund scherzend, „ich wüsste schon, wie er uns das danken kann, er könnte mir zehn Euro geben, dann sind wir quitt.“

Kurz darauf kommt der Mann zurück, bedankt sich wieder in einer Tour und lotst uns zurück Richtung Bahnhof. Während wir als durch die Straßen kurven, sagt er dann zu meinem Freund, kurz bevor wir am Bahnhof ankommen: „Hör mal, ich bin *den Namen hab ich vergessen* und arbeite bin der Direktor des INPS*. Wenn ich irgendwann mal etwas für dich tun kann, komm vorbei, ich bin ab Mittwoch wieder im Büro.“

(*l’Istituto Nazionale della Previdenza Sociale (INPS) = die staatliche italienische Sozialversicherungsanstalt)

So eine Bekanntschaft ist in Italien mehr wert als Gold, sche*ß also mal auf die zehn Euro. Denn seien wir mal ehrlich, wenn man die richtigen Leute kennt ist doch immer irgendwo ein Plätzchen frei oder kann eins geschaffen werden.

Ein Paradebeispiel für die einzige Wirtschaft, die außer Kneipen, in Italien funktioniert: die Vetternwirtschaft. Aber ehrlich gesagt, das ist doch bei uns nicht wirklich anders, wird nur vielleicht weniger offensichtlich betrieben.

Warten wir mal ab, wie sich diese nun wirklich nicht ganz alltägliche Bekanntschaft entwickelt.

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